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5. August 2025 8 Minuten

Die Causa Brosius-Gersdorf

Gemeinsam mit zwei weiteren Kandidaten sollte die Potsdamer Juraprofessorin Dr. Frauke Brosius-Gersdorf am Freitag, den 11. Juli, vom Bundestag zur Verfassungsrichterin gewählt werden. Aufgrund fehlender Stimmen aus der Unionsfraktion wurde die Wahl der von der SPD vorgeschlagenen Brosius-Gersdorf jedoch abgesagt und von der Tagesordnung genommen. Dem vorausgegangen waren massive Diffamierungen und Vorwürfe bezüglich ihrer Kandidatur und politischen Positionierungen, zuletzt ergänzt um vermeintliche Plagiatsvorwürfe.

Hannah Schimmele und Richard Schwenn aus dem polisphere Social Media Monitoring haben sich die mediale Kampagne und mehr als 40.000 X-Posts dazu angeschaut. Die zentralen Erkenntnisse:

Entwicklung der Kampagne (Auswahl reichweitenstarker Multiplikatoren):

  • 1. Juli: Apollo News (am gleichen Tag von Julian Reichelt auf X aufgegriffen)
  • 2. Juli: NIUS
  • 2. Juli: Tichys Einblick
  • 2. Juli: Junge Freiheit
  • 3. Juli: AUF1
  • 4. Juli: Compact Magazin

Dabei fokussierten sich Kritik und Diffamierungen auf die folgenden Themen, bzw. angeblich “extremen Positionen” von Brosius-Gersdorf:

  • Abtreibung
  • Impflicht
  • AfD-Verbot
  • Gendern
  • Kopftuch
  • Plagiatsvorwurf

Analyse zur Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf

Der Fokus lag zuerst vor allem auf dem AfD-Verbot, erst später wurde Abtreibung präsenter, nachdem klar wurde, dass hier mehr Mobilisierungspotential (auch innerhalb der Unionsfraktion) herrscht. Die haltlosen Plagiatsvorwürfe kamen in den letzten 24 Stunden in erheblicher Fallzahl dazu.*

Vor allem NIUS war sehr aktiv: Mehr als 20 Artikel wurden in nur zehn Tagen seit dem 2. Juli veröffentlicht. In den letzten Tagen vor der Wahl wurde die Debatte dann auch zunehmend von Qualitätsmedien aufgenommen.

Weitere Erkenntnisse:

  • “Alternative Medien” sind plattformübergreifend präsent
  • X sticht als Diskursarena besonders heraus (“Wie wichtig X ist, sieht man auch am heutigen Tag!” Joana Cotar)
  • Aufrufe aus der AfD, dass User ihre CDU-Abgeordneten in Kommentaren markieren und zur Nicht-Wahl auffordern sollen (“Ich brauche deine Hilfe!”)
  • CitizenGo-Petition gegen Brosius-Gersdorf mit großer Reichweite
  • Inhalte wurden teilweise als Werbung geschaltet
  • Viel KI-”News”-Content auf TikTok
  • Suchvorschläge wie “Abtreibung bis 9 Monat” (falscher Vorwurf) wurden bei Suche nach “Abtreibung” von TikTok oben angezeigt

*Update vom 4. August 2025: Die Universität Hamburg nahm inzwischen die Vorprüfung der Doktorarbeit von Frauke Brosius-Gersdorf auf, nachdem am 16. Juli ein begründeter Antrag die Ombudsstelle der Universität erreichte. Sollte einer der Hinweise auf einen belastbaren und hinreichend konkreten Verstoß gegen die Formalien guter wissenschaftlicher Praxis zutreffend sein, wird das eigentliche Prüfverfahren eingeleitet.

Blick auf die Akteure und Netzwerkdynamiken der Tage vor der Wahl

AfD und Vorfeld: Von den 100 einflussreichsten Akteuren (Gesamtzahl der Retweets) gehören zwei Drittel (68) zur AfD (10) oder ihrem Vorfeld (58). Wichtigster Account war der von Beatrix von Storch mit ihrer Falschbehauptung zur „Abtreibung im 9. Monat“. Dazu kamen eine Vielzahl von Replies auf Beiträge von CDU/CSU(-Abgeordneten), Bundeskanzler und anderen „neutralen“ Accounts (in Gelb).

CDU/CSU (Anm.: Die Positionierung in der Grafik bedeutet keine inhaltliche Nähe zu den Aussagen gegen FBG): Grundsätzlich waren alle offiziellen CDU/CSU-Accounts Projektionsflächen der Kampagne. Gerade der CDU-Partei-Account wurde stark von der Anti-FBG-Kommunikation und Kampagnen-Akteuren bespielt, um kommunikativen Druck aufzubauen. Gemeinsamer Unionsfraktions- sowie CSU-Landesgruppen-Account wurden deutlich seltener adressiert.

SPD: Obwohl Brosius-Gersdorf Kandidatin auf Vorschlag der SPD war, spielten weder Partei noch Einzelaccounts eine große Rolle – weder in der Gegenkommunikation noch als Projektionsfläche im Sinne des kommunikativen Drucks.

Doppelrolle der alternativen Medien: Die alternativen Medien beteiligten sich direkt mit ihren X-Accounts und dienten außerdem als wichtige Content-Quellen für andere Akteure.

Die Netzwerkanalyse zeigt die Darstellung besonders reichweitenstarker Accounts und deren Interaktionen zwischen dem 1. und 11. Juli 2025.

Netzwerkanalyse FBG

Fokus auf Ann-Katrin Kaufhold

„Noch schlimmer als Brosius-Gersdorf“: Nach den massiven Diffamierungen und Vorwürfen gegen Frauke Brosius-Gersdorf entwickelte sich auch um die zweite Verfassungsrichterkandidatin Ann-Katrin Kaufhold eine neue Dynamik.

Ein Vergleich des Kommunikationsvolumen auf X zu beiden Kandidat:innen seit dem 1. Juli (insgesamt mehr als 100.000 Posts) zeigt: Die Kommunikation zu Ann-Katrin Kaufhold ist im Vergleich zu Brosius-Gersdorf deutlich geringer, hat aber zwischenzeitlich eine gewisse Dynamik entfaltet. Kaufhold wird in den rechten bis rechtspopulistischen Netzwerken als die „Gefährlichere“ von beiden gezeichnet, die man „nicht vergessen sollte“.

Ann-Katrin Kaufhold Monitoring

Die zentralen Desinformationsnarrative:

  • Klima: Kaufhold wurde gerade zu Beginn als „radikale Klimaaktivistin“ geframed. Das Klima-Narrativ ist immer noch präsent, wurde aber vom AfD-Verbots bzw. Staatsstreich-Komplex als dominantes abgelöst.
  • AfD-Verbot und Staatsstreich: Eine „linke Übernahme des Bundesverfassungsgerichts“ bzw. „rot-grüner Staatsstreich“ wird heraufbeschworen. Der zweite Senat solle zusammen mit Astrid Wallrabenstein (Amtierende Richterin auf Vorschlag der Grünen) übernommen werden. Zentral dabei aber die Frage des AfD-Verbots, das somit dann durchgesetzt werden könnte.
  • Weitere: Auch die Abschaffung von demokratischen Wahlen und Forderungen nach umfassenden Enteignungen werden mit Kaufhold in Verbindung gebracht, aber in weitaus geringerer Fallzahl.

Sowohl in Quantität als auch Qualität bleibt dies jedoch weit von der Dimension des Falles von Frauke Brosius-Gersdorf entfernt. Kampagnenaufrufe à la „Jetzt sollte man sich Kaufhold vornehmen“ gibt es zwar, aber bisher noch ohne signifikante Dynamik, weshalb es hier auch noch nicht als Kampagne zu bezeichnen ist.

Weiterführende Artikel zum Thema:

Für Presseanfragen steht Philipp Sälhoff via philipp.saelhoff@polisphere.eu zur Verfügung.

Aktuelle Entwicklungen im Bereich Desinformation bereiten wir auch jede Woche in unserem thematischen Fachbriefing auf: Anmeldung.

Autor:in

Foto von Hannah Schimmele

Hannah Schimmele

Projektmanagerin

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